Dieser Tage wäre unser Flug nach Montana gestartet… Meine Schwester und ich wollten eine Woche auf der Dryhead Ranch verbringen und dabei helfen, die große Rinderherde der Farm aus den Rockies zurück in die Niederungen der amerikanischen Prairie zu treiben. In der Gegend haben sie einst „Der mit dem Wolf tanzt“ gedreht.
Hätte, wäre, wenn. Leider musste ich mich ein zweites Mal unters Messer begeben. „Sie haben eine Parese, bedingt durch ein Rezidiv.“ Aha. Was hab‘ ich? Das hab‘ ich ja noch nie gehabt.
Rehamed statt Rocky Mountains. Pech gehabt.
Aber.. auch in Hameln kann man interessante Geschichten erleben. So wie diese:
Ich möchte einer netten Internetbekanntschaft eine Freude machen. Wir teilen die Leidenschaft für die Bücher aus der Feder von Rebecca Gablé. Aus Salisbury habe ich vor Jahren eine Kopie der ‚Magna Carta‘ mitgebracht. Englands erste Verfassung, wenn man es so sagen will, stammt aus dem Jahr 1215 und wurde König John vom Adel abgerungen. Sie schränkte die Macht des Königshauses erstmals formal ein und regelte schriftlich gewisse Abläufe und Rechte, wie zum Beispiel das Erbrecht. So ist geregelt, dass die Frau eines Lehnsmannes, die zur Witwe wird, 40 Tage bleiben darf, bevor der Nachfolger sie vom Hof jagen kann. (Toll, ne?)
Jedenfalls habe ich seit Jahren zwei Kopien dieser Magna Carta in Besitz, die originale Version, welche bei uns im Flur hängt, und eine zeitgemäße Übersetzung.
In Kürze erscheint ein neuer Roman von Rebecca Gablé, der sich dieser Periode im mittelalterlichen England widmet, und ich finde es ist eine gute Idee, besagter Bekanntschaft pünktlich zum heiß ersehnten Erscheinungstermin die andere, von mir ohnehin ungenutzte, Ausgabe zukommen zu lassen.
Ich rolle das etwa DIN A2 große Dokument vorsichtig auf und denke mir, dass ich die passende Versandrolle bei der Post erstehe (Fehler 1). Ohne ein Gummi drum zu wickeln (Fehler 2) verlasse ich mit der ersten englischen Verfassung in der Hand unsere Wohnung.
„Hi Maren, Du läufst ja schon wieder richtig gerade!“ ruft mir ein bekanntes Gesicht in der Fußgängerzone zu. Wir quatschten kurz, dann:
Er: „Was hast Du denn da?“
Ich: „Die Magna Carta.“
Er: „Was?“
Ich: „Die englische Verfassung…“
Er: (quakt dazwischen) „Ah, Brexit.. jaja, dieser Johnson..!“
Ich: „Äh, nein, ist auch schon von 1215!“
Er: „Naja, ich muss dann weiter!“
Auf meinem Weg zur Post komme ich an der Marktkirche vorbei. Der Inhalt des Dokuments in meinen Händen ist älter als die Grundsteine dieses altehrwürdigen Gotteshauses, in dem wir mit dem Schiller Gymnasium so schöne Weihnachtsgottesdienste gefeiert haben, in der Zeit, als man das noch machte.
Und noch ein bekanntes Gesicht linst aus der Menge hinter einem großen Schokoladeneis hervor. Diesmal ist es Barbara, Englischlehrerin, und natürlich im Bilde. Ob ich die Abschrift auch aus Salisbury habe. Habe ich. Sie entlässt mich mit dem Hinweis, dass die Schlange bei der Post….
….lang ist. Ich schleiche an den Auslagen entlang. Vor, zurück. Nochmal. Kann doch gar nicht sein! Es gibt Polstertaschen in allen denkbaren Variationen. Längs, quer, hoch. Mit oder ohne diese Luftblasen-Klacker-Polster. Nur Rollen sehe ich keine. Ich frage die Schlange (Schwarmwissen) ob jemand was sieht, was ich nicht sehe, ernte aber nur genervte Blicke. Gut. Also als Päckchen. Wie lang ist dieses olle Päckchen in Größe M, wenn es zusammengebaut ist? Und warum hab‘ ich kein Gummi um die Magna Carta aka Brexit-Papers gemacht??? Mit der linken Hand das aufgerollte Dokument haltend, versuche ich mit rechts den Innendurchmesser des Bausatzes im fertigen Zustand zu ermitteln.
„Versuchen Sie es doch mal im 1-Euro-Laden!“ ruft mir ein freundliches Wesen aus der mehrköpfigen Schlange zu. Das mache ich!
Da drinnen ist es noch wärmer als draußen. Ich sehe alles mögliche, nur nicht das, was ich suche. Wer kauft Katzenfutter im 1-Euro-Laden? Sei’s drum. Ich frage. „Das haben wir nicht. Versuchen Sie es mal bei der Post!“ Ich lächele gequält und erstehe stattdessen erstmal eine Packung Gummibänder und, wer weiß, wofür es gut ist, eine Rolle Klebeband.
-„Drei Euro, bitte!“
?
Egal. Ich also zurück zur Post. Lege meine Sachen ab, inspiziere die schier endlose Schlange und entschließe mich, mir der Gefahr bewusst, trotzdem, den gelangweilten Mitarbeiter am Postbankschalter anzusprechen.
„Entschuldigen Sie. Wissen Sie vielleicht, ob es hier irgendwo diese Versandrollen gibt?“ Ich wedele mit der inzwischen akkurat aufgerollten und mit Gummis fixierten Ausgabe des Textes aus dem 13. Jahrhundert, der einer Verfassung gleicht.
Er: „Sie sind hier bei der Postbank! Die Post ist in der Runden Straße!“
Ich: „Ok. Gibt es in dieser Postbank Filiale, die nicht die Post ist, wenn auch die einzige Annahmestelle für die Post in der Stadt, als Post-in-Postbank-Shop-in-Shop sozusagen, gibt es hier eine Versandrolle käuflich zu erwerben, wissen Sie das?“
Er: „Nee.“
Gibt es nicht oder weiß er’s nicht? Ich ärgere mich über meine dämliche Fragestellung, mit der ich mich selbst ausmanövriert habe.
Ich: „Sind Sie wahrscheinlich auch nicht zuständig?“
Er: „Nee.“
Also greife ich nach zwei DHL Kartons in den Größen M und L und lege an. Das geht jetzt, dank der Fixierung, wunderbar. Es muss L sein. Ok. Wie genau baut man einen DHL Versandkarton zusammen? Kann ja nicht so schwer sein! Ich setze mich und beginne zu knicken.
Er (guckt rüber und grinst süffisant): „Soll ich Ihnen helfen?“
Ich: „Nee.“ (!)
Ich beende Tante Marens Bastelstunde, komme ohne mein 1 oder 2-Euro-Klebeband (man weiß es nicht) aus und stelle mich in die Schlange. Versuche ein Selfie für Cindy zu knipsen. Sehen alle bescheuert aus. Ich schwitze!
Ich bin dran. Ein freundlicher Mensch winkt hinter dem Tresen, der seine gute Laune nicht verloren hat. Obwohl er da alleine steht, vier Schalter unbesetzt.
Er: „Guten Tag!“
Ich: „Guten Tag. Sagen Sie mal, gibt es hier nicht Versandrollen zu kaufen? Ich hatte das erwartet?“
Er: „Nein, die führen wir nicht. Denn die wollen wir gar nicht. Die sind so unhandlich und schlecht zu transportieren. Die kosten sogar Aufschlag, wenn Sie die aufgeben!“
Eine Antwort! Und so nett und aufschlussreich! Ich freue mich darüber, lege mein Päckchen hin und warte, während der Herr die Zahlen in die Kasse eintippt.
Er: „Macht (hab’s vergessen) und ist sogar versichert!“
Ich: „Na wunderbar, ist immerhin die englische Verfassung drin!“
Er: „Was ist da drin?“
Ich: „Die Magna Carta!“
Er: „Ach diiie!“
Ich: „Genau. Und, wissen Sie was, die ist von 1215. Jetzt schafft sie es auch noch bis morgen in den Ruhrpott!“
Und wer wissen möchte, wie diese Magna Carta denn nun einst zustande gekommen ist, der kann es ab dem 30.8. in der „Teufelskrone“ by Rebecca Gablé nachlesen.