Kennt Ihr das? Ich liebe Reise-Song-Playlists, weil man sie nach Rückkehr nur einzuschalten braucht, um sich mental umgehend wieder in der Welt einzufinden, die für die Dauer des Trips eine andere war. Das gilt in meinem Fall ganz besonders für Tansania. Ich fühle mich zurzeit wie Tom Hanks in „Cast away“. Lichtschalter an. Lichtschalter aus. Warum eigentlich?
Mein Telefon klingelt Sturm, Nachrichten häufen sich. „Willkommen zurück, wie war’s?“ Und dann stehe ich da und möchte fragen: Wie viel Zeit hast Du? Denn mit einer kurzen Antwort kann ich nicht dienen. Ich erinnere mich, wie mein Vater mir einst erzählt hat, dass die französischen Freimaurer auf ein Buch mit 1000 weißen Seiten schwören. „Auf alles und auf nichts, Maren!“ Ich glaube, etwas in dieser Richtung käme meiner Antwort auf die Frage darauf wie „es“ war noch am nächsten.
„Du musst aber schon noch von den letzten Tagen berichten, Maren!“, ruft mir trotzdem jemand durchs Telefon zu. Is that so?
Wir landen mit der Cessna aus Ruaha auf einer besseren Kuhwiese am Indischen Ozean. Das Gras steht einen halben Meter hoch, aber unser Pilot, der aussieht wie ein Komparse aus der Kulisse von Braveheart, hat Mut zur Lücke und setzt die Maschine sicher auf. Wenn hier irgendwo ein Erdloch ist, dann gehen wir gleich über Kopf und aus isses, denke ich bei mir. Aber… irgendwas ist immer. In Ruaha sind es die Elefanten auf dem Airstrip, die schon manch pünktliche Abreise vereitelt haben. For this is Africa. Waka Waka.
Die Lazy Lagoon Island ist so etwas wie eine Malediveninsel ohne Disneyland. Wo denn unser Boot läge, fragt mich das Hörnchen. „Da!“, sag ich und zeige auf eine windschiefe Nussschale, die sanft ein paar Meter vom Strand entfernt im azurblauen Ozean auf den Wellen hin und her schaukelt. Leiter oder Jetty? Fehlanzeige! Stattdessen heißt es Schuhe aus, Hose hochkrempeln oder einfach nass werden und hineinklettern, während ein paar starke Jungs unser Gepäck verladen und den Kahn einigermaßen waagerecht halten. Alles Roger? Na dann mal los! Wir tuckern gemächlich durch die Brandung, vorbei an einem Mangrovenwäldchen und halten direkt aufs Paradies zu. Ein Berg aus weißem Sand erhebt sich am Horizont, dann taucht eine Holzhütte auf und ich kann die Bar schon sehen. Nataka G&T – für mich Gin and Tonic, bitte! Ab morgen Mittag sind wir die einzigen Gäste hier und verleben eine unbeschwerte Zeit mit dem Wind, den Wellen und dem Ozean. Weil die Bandas, die als Unterkunft dienen, zu drei Seiten nach vorne hin offen und nur mit Moskitoschutz versehen sind, sehe ich mit dem ersten Augenaufschlag die Sonne aufgehen und wie die Fischer mit ihren Dhows hinaussegeln, um fette Beute zu machen. Eine frische Brise findet den Weg in mein Gesicht. Krebse eilen über den Strand und jagen Muscheln hinterher. Priscia, der Haus und Hof- Hund, liegt in meiner Hängematte und schaut mich erwartungsfroh an. „Los! Steh endlich auf!“
Die einzige Unterbrechung im Tagesablauf aus „rein ins Meer“ oder „raus aus dem Meer“ sind die dreimal täglich gereichten üppigen Mahlzeiten. Man isst halt, weil es so lecker ist, aber im Grunde bin ich schon nach dem ersten Gang pappsatt. Man bewegt sich einfach zu wenig, was auch den hohen Temperaturen geschuldet ist. Doch zaubern sie die tollsten Sachen aus tropischen Früchten, Fisch (for those, who like that sort of thing) Chapati und einheimischen Gewürzen auf die Teller. Sind wir doch jetzt dort, wo der Pfeffer wächst! Trotz allen Futters habe ich aber am Ende der Reise wieder einmal 2,5 KG Substanz zugesetzt, wie ich zu Hause später feststelle. Nicht, dass mir das schaden würde 😉
In der alten Hauptstadt Deutsch-Ostafrikas, Bagamoyo, scheinen die Temperaturen nochmal zuzulegen. Wir quetschen uns mit dem Toyota durch enge, schlammige Gassen und umkurven geschickt die schlimmsten Schlaglöcher, als ich meinen Augen nicht trauen kann. „Stop, Filbert!“, rufe ich „back, back please, 10 Meters, Twende!“ Er setzt zurück. Ich springe aus dem Wagen, laufe auf einen Shop mit T-Shirts und Kleidung zu und Ihr glaubt nicht, was da hängt. Da hängt ein Trikot von Hannover 96! Nicht Dortmund, nicht Gladbach, nicht Bayern. Nein, die Roten! Ist das denn die Möglichkeit? Der Shopbesitzer will mir das Shirt gerne verkaufen, aber ich gebe ihm einen kleinen Schein dafür, dass er es da einfach hängen lässt, um weitere Reisende zu erfreuen und um die Marke in die Welt zu tragen. Die wissen hier in Downtown-Bagamoyo offensichtlich, wo ein guter Ball gespielt wird. Rattenscharf!Ansonsten ist hier viel Kolonialgeschichte sichtbar, ein deutscher Friedhof, Münzen aus englischer und deutscher Zeit, verfallende Gebäude aus der Jahrhundertwende. Was mich aber noch mehr fasziniert, ist das Leben am Strand. Da werden Dhows mit Steinen beladen, die ihre Reise nach Sansibar antreten um dort im Straßenbau ihre letzte Verwendung zu finden. Muskelbepackte Männer schleppen das Baumaterial in großen Säcken auf ihren Schultern über den Strand. Wenn man jetzt die Augen halb schließt und sich der Geräuschkulisse hingibt, dann könnten das ebenso gut Felsbrocken für die „Kathedrale des Meeres“ sein, wie es Ildefonso Falcones so gekonnt in seinem Historienschmöker beschreibt.
Wir müssen weiter. Der Muezzin brüllt knatternd durch die Lautsprecher. „Allahu-akbar. Allah ist groß!“ Wenn er das sagt… Twende Dar Es Salaam!
Zwei meiner Mitreisenden sind noch auf der Insel geblieben und senden Grüße von „Robinson & Freitag“. Sie sind nun die einzigen Gäste dort. Eine private Insel im Indischen Ozean mit 10 Mann Personal. Das ist doch auch mal cool!
Am Abend treffen wir wieder auf Mary, Rehema und die Kinder. Ich kann nach meinen OPs noch nicht so viel tragen, habe aber natürlich für jeden ein kleines Geschenk dabei. Seit Ankunft hatte Mary den Geschenkekoffer in ihrer Obhut und die Kinder sind nun 12 Tage zu Hause drumherum geschlichen. Ich habe ein Einsehen und bitte Junior noch vor dem Essen, mir die Pakete nach und nach anzureichen. Lego für Dan, ein Wurfspiel für Junior, Memory für Innocent und zwei englische Kinderbücher für die kluge 11-jährige Mephian. Louise, Ians Frau, hatte mir „The Girl of Ink and Stars“ empfohlen, dazu Band 1 von Potter. Ich bin gespannt, wie sie sich hineinfindet. Wie erklärt man einem Kind, was Fantasy ist, wenn es nicht weiß, was ein Zauberer ist? Ich glaube, ich mache mir viel zu viele Gedanken. Sie wird ihren Zugang dazu finden, viel schneller wahrscheinlich, als ich selbst.
Wilson, Mary und Dan müssen sich durch deutsche Reiseführer arbeiten, denn Abi und ich, wir haben sie für Juni 2021 zu uns nach Hause eingeladen. (Wer sie treffen möchte, please note, und wer unserer kleinen Reisegruppe auf Deutschlandtournee Unterkunft anbieten möchte, der melde sich gern. Hoch im Kurs sind aktuell vor allem München, Berlin und Köln.)
Bleibt noch Rehema, die wunderschöne Rehema, Schwester von Mary und immer ein wenig im Schatten der Aufmerksamkeit stehend, für Rehema habe ich diesmal das kostbarste dabei, was ich zu geben habe. Sie, die verheiratet ist und die ihre Kinder zu Hause zusätzlich unterrichtet, weil es für eine ordentliche Schule nicht reicht, für Rehema habe ich die schönste Motivationsschrift eingepackt, die ich 2019 gelesen habe: „Becoming“ von Michele Obama. Aus einem Arbeitervorort Chicagos ins Weiße Haus. Es ist sicherlich nicht immer leicht, in Dar Es Salaam-Manzese nicht den Mut zu verlieren.
Der Abend mit Agentur Inhaberin Corina ist Extra-Extra-Extra-Time, ich glaube, wir könnten auch 14 Tage am Stück reden und würden doch niemals fertig sein. Wir wollen in absehbarer Zeit einmal den Sinai zu Fuß und mit Kamelen durchqueren wollen (Uppsa, das habe ich Abi noch nicht gesteckt!), denn ich habe niemals wieder so viele Sterne gesehen, wie bei meinen zwei Besteigungen des Berg Mose in den Jahren… uff… 1994 und 1998. Heiner? Ich glaube, das stimmt. Und das möchte ich noch einmal machen! Der Kilimandscharo muss warten, bis ich mich auf meinen Rücken wieder ganz verlassen kann.
Zum guten Schluss besuche ich mit Wilson Emmanuels Bruder Mike, der gesundheitlich ein bisschen angeschlagen ist und ein paar aufmunternde Worte vertragen kann. Er ist in viel besserer Verfassung als ich zu hoffen gewagt hatte und zu meinem großen Glück treffen wir ihn zu Hause an und können sogar in die Stadt fahren, um gemeinsam eine Pizza essen zu gehen. Er will so schnell es nur geht zurück ans Steuer eines LandCruisers und seine Arbeit als Safari-Guide wieder aufnehmen. Als wir im Safari-Fahrzeug durch Moshi streifen und er hinten sitzen muss, bittet er Wilson feixend auf Suaheli, sein Guide zu sein und doch bitte ein paar erklärende Worte zu den Gebäuden rechts und links abzugeben. Mike strahlt Zuversicht aus. Ich sehe Zukunftspläne in seinen Augen. Inzwischen verstehe ich von der Sprache so viel, dass ich den Sinn erfassen kann und freue mich von ganzem Herzen über die Entwicklung dieses Tages. Alle lieb zugedachten guten Wünsche, die mich vor Abreise erreichten, sind also in Erfüllung gegangen. Asante sana, kwa moyo wote.Am Ende wird eben alles gut. Und wenn es nicht gut ist, dann ist es nicht das Ende. (Oscar Wilde)