Menschen (in Verkehrsmitteln und im Hotel)

„10,9,8,7,6 und an der anderen Hand hab‘ ich 5. 11 Finger sind das also, siehst Du?“
Der gütige ältere Herr mit der gewinnenden Art erinnert mich an eine Mischung aus Heinz Erhardt und unserem Trauzeugen Ralf. Das kleine Mädchen strahlt, gackert laut und wird diesen Trick in den kommenden Minuten noch etliche Male vorführen. Im Großraumwagen der Werdenfelser Bahn findet sich heute ausreichend Publikum. „Sie müssen wohl weiter in den Pott“, spricht des Mädchens Opa den gutmütigen Schelm an, während er mit den Fingern auf ein Abzeichen aus Hammer und Meißel an dessen Revers tippt. „Das ist aber aus dem Erzgebirge!“ weiß der Herr, während die zugehörige Dame neben ihm, ihrerseits mit einem kleinen Tannenbaum aus Edelsteinen am Revers begütert, energisch „Düsseldorf, Düs-sel-dorf“ einwendet und gleichzeitig zur Kenntnis gibt, dass die erste Klasse in diesem Zug (aber wirklich!) viel zu klein ausfiele.
„Opa, Opa, wo ist mein Zauberkasten?“ fragt das Mädchen unterdessen erwartungsfroh.

 

Es rummst und scheppert hinter mir, ich drehe mich um und sehe direkt in Paulchens lachendes Gesicht. Paulchen ist vielleicht ein Jahr alt und hat das Mobiltelefon für Kinder während des Abendessens heute schon mindestens 20 mal hinuntergeworfen. Mit engelsgleicher Geduld hebt sein Vater es vom Boden auf und reicht es ihm. Ich zähle runter. Rumms. Da liegt wieder unten. Die englische Familie besteht aus einem freundlichen Opa, den ich Lord Leicester getauft habe, dessen langmütigem Sohn mit scheuem Hugh Grant-Lächeln, immer gleicher Sturmfrisur, einer schlecht sitzenden Levis mit immer an gleicher Stelle heraushängendem Zettel und wenig kleidsamen derben Boots, sowie Marcus, einem weiteren, etwa fünfjährigen wohl erzogenen Spross. Und dann ist da noch diese vollendete Dame, Mutter der Kinder, eine elegante Erscheinung in perfekt sitzenden Kleidern und täglich wechselnden High Heels in passender Farbe. Die langen schwarzen Haare ruhen glatt auf ihrem schmalen Rücken und große braune Augen zieren ihr Gesicht.

Rumms. Und Paulchen strahlt.


„Keine Angst, ich will Dir kein Gespräch aufdrängen, ich warte nur auf meinen Toast“, sagt ein blonder Schlaks zu Thomas Freimuth, der zusammen mit anderen Ski-Altstars für das „Ausdauer Netzwerk“ einen fünftägigen Langlaufkurs anbietet. Seit dem 2.1. ist die 30-köpfige Horde, anscheinend alles Alleinreisende, hier im Hotel eingefallen und bevölkert Sauna, Buffet und Lobby gleichermaßen. Und so durfte ich Zeuge werden, wie die anreisenden Amateur-Sportler sich nach dem Einchecken in der Saunalandschaft miteinander bekannt machten (wie praktisch, da kauft man nicht die Katze im Sack). Ich habe den ersten Gang hinter mir, ruhe auf meiner bequemen Liege und möchte nur zu gerne in Ruhe weiterlesen, kann mich aber leider den Gesprächen um mich herum nicht entziehen. „Naja, ich habe meine Base in Ulm. `Ne Wohnung halt, aber eigentlich bin ich nie da. Entweder ich bin auf Geschäftsreise oder privat unterwegs.“ Der muskelbepackte Athlet hat eine Schar an langhaarigen Bewunderinnen um sich. „Aber irgendwo muss man seine Sachen ja lassen.“ Herr „ich-bin-toll“ lacht etwas schief über seinen eigenen Scherz und ich frage mich, wer das – also dieses – Rennen macht, bevor ich mich wieder meinem Cornwell zuwende, wenige Minuten später entnervt aufgebe und unser Zimmer ansteuere.

So war das! Unser ICE nach Hause hat allen Beteuerungen der mobilen News über die große Wetterkatastrophe zum Trotz nur 20 Minuten Verspätung. Das Taxi nach Mittenwald fuhr sogar ohne Schneeketten und die Regionalbahn bis München durch die Berge pünktlich auf die Minute. Vielleicht wäre es ja eine gute Idee, wieder zu schreiben, was war, anstatt zu schreiben, was vielleicht wird, wenn wir es in Deutschland schon nicht hinkriegen zu schreiben, was ist. (Außer der BILD natürlich).

Happy New Year!

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