Up Where We Belong

Aus der neuen Kategorie <<Alte Geschichten>> 

„So, verehrte Passagiere, und jetzt geht’s los!“, tönt die sonore Stimme des Kapitäns unserer Boeing 747 der Lufthansa Anfang Juli 1997 durch die Lautsprecher, während im Hintergrund die ersten Takte einer Melodie erklingen. „Uuuund Schub!“ Die schwere Maschine beschleunigt in kurzer Zeit auf über 200 Sachen und hebt schließlich zu den Klängen von Joe Cockers Hymne „Up where we belong“ aus dem Film „Ein Offizier und Gentleman“ ab. Niemand spricht ein Wort. Alle sind hingerissen von der Schönheit des Augenblicks. So war das damals, als die Fliegerei noch Passion war. Und wir sind ja so leicht glücklich zu machen, nicht wahr, Sven?

Wann immer ich an unsere Namibiareise denke, meine erste Begegnung mit dem wahren Afrika, dann denke ich auch an diesen Moment an Bord von LH 460.

Namibia 1997, Abitur und los, das waren Björn, mein unersetzlicher Schulfreund (der für sein hässliches Bild in Kunst 9 Punkte gekriegt hat, während ich für meins nur 8 bekam, was ihm eine Nachkommastelle mehr in der Abitur-Endnote einbrachte als mir, SCHIEBUNG!) und heute ein angesehener Neurologe, Heiner, der den Büchern immer treu geblieben ist und heute für einen Schulbuchverlag arbeitet, Sven, mein langjähriger WG-Genosse und genialer Künstler, auch, wenn er davon nichts wissen will, und natürlich Frauke, die Chaos-Queen, die heute in der Eifel lebt und erfolgreich zwei Kinder großzieht, was ihr 1997 niemand jemals zugetraut hätte.

Erinnerungen an diese Reise gibt es viele… zum Beispiel diese:
Nach einem interessanten ersten Tag in Windhoek und einer langen Fahrt nach Swakopmund am Atlantik sind wir im Zentrum des Ortes angelangt, der seine deutsche Kolonialvergangenheit nicht verleugnen kann. „Wo wohnt diese Verwalterin Anneliese denn nun?“, fragt Heiner energisch bei Frauke nach, deren Vater eine Wohnung in „Südwest“ sein Eigen nennt, in der wir für ein paar Tage absteigen wollen.
„Also den Zettel mit der Adresse habe ich wohl neben dem Telefon liegen gelassen. Neben dem – ähm – Telefon zu Hause!“, gibt Frauke kleinlaut zurück. Wir reden von 1997, Leute! Kein Internet, kein Handy, gar nichts! Nun, es gab damals viel einfachere Lösungen! Da ging man in die nächstbeste Telefonzelle, schlug das Telefonbuch auf und – siehe da – alles kein Problem: Hätte man denn den Nachnamen zur Hand! Doch auch dieser ist unserer Frauke leider, leider entfallen. Anneliese so-und-so. Was nun? „Postamt!“, schlägt Sven vor. „Bei der Post laufen alle Informationen zusammen, wenn irgendjemand weiß, wer wo wohnt, dann die Post!“ Und so ist es auch. Der freundliche Herr am Schalter weiß gleich Bescheid und erklärt uns geduldig den Weg. „Was regt Ihr Euch eigentlich so auf?“, will Frauke später wissen. „Immer locker bleiben!“ Ich rege mich nicht auf. Ich find’s lustig. Björn auch. Sven kriegt die Krise. Und Heiner gibt den Elder Statesman (er ist ja auch viel älter als wir, zu uns gestoßen als ehemaliger Schüler der heiligen Anstalt des Schiller Gymnasiums zu Hameln im Rahmen einer jahrgangsübergreifenden Israeltour zwei Jahre zuvor) und steuert den VW-Bus in die angegebene Straße. „Ja, klar, genau, hier ist das, ich erkenne es wieder!“, gibt Frauke altklug zum besten, als Heiner den Motor schon abgestellt hat und diese Information keiner mehr braucht. Aber sie wollte es nochmal gesagt haben. Hatte irgendjemand irgendein Problem? Aber nicht doch!

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Die Nächte in der Wüste bei Khorixas sind um diese Jahreszeit eiskalt. Ich lasse Jeans und Pullover an, wickele mich in den Schlafsack und mache mir warme Gedanken. Doch Frauke klappert neben mir vernehmlich laut mit den Zähnen. So wird das nie was mit dem Einschlafen und wir beschließen wieder aufzustehen, noch eine Schicht Klamotten anzulegen, noch ein Glas Whiskey zu trinken und die ein oder andere Zigarette zu rauchen. Und so erzählt mir Frauke von ihrer Zeit in Kanada, während wir in dicke Decken gewickelt vor den Zelten in den Campingstühlen hocken, das Abitur in der Tasche und die Zukunft vor uns, und dieses für die damalige Zeit so ungeheure Abenteuer erleben. Die Nacht ist beinahe taghell, so viele Sterne funkeln am Himmel, und die Luft ist klar und frisch. Keine Wolke weit und breit. Ich sehe das Kreuz des Südens. Und ich verliebe mich in dieser Stunde mit Haut und Haaren in diesen Kontinent, in die rote Erde, die grenzenlose Weite und in die Geräusche der nächtlichen Savanne. In dieses Fleckchen Erde, wo der Himmel irgendwie höher ist, als zu Hause.

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„Hallo, guten Morgen, Deutschland! Ich wünsch’ Dir einen schönen Tag!“, so dröhnt die Musik von Tom Astor aus dem General Store in Fort Namutoni, als sie am frühen Morgen öffnen. Sven und ich, wir schauen uns an und fallen in brüllendes Gelächter ein. Man sollte meinen, sie sei nun lange genug her, die deutsche Zeit, und doch ist vieles im Lande noch so seltsam – sagen wir – „komischdeutsch“. Erst viele Jahre später sollte mir klar werden, dass es nichts weniger als stumm erduldete und noch immer gepflegte Apartheid war, die mein Störgefühl ausgelöst hatte. „Der Junge kann Euer Zelt säubern!“, hatte Anneliese lapidar bei unserer Rückkehr nach Swakop verlauten lassen. Ich hatte mich noch gefragt, warum ihr Sohn Rainer wohl unser Zelt säubern sollte. Ich denke heute, es war nicht Rainer, der das erledigt hat.
Fort Namutoni. Wir brauchen frische Eier, Baked Beans und Bacon für’s Frühstück, das Chefkoch Björn überm Gaskocher Tag für Tag gekonnt zubereitet. Zu der Zeit reichten mir eigentlich noch zwei Benson&Hedges und zwei Tassen von Fraukes Kaffee, der Tote zum Leben erwecken konnte, aber an die Bohnen habe ich mich gewöhnt, und sie fehlen bis heute nicht auf meinem Teller, wann immer ich in England oder im Commonwealth unterwegs bin.
Wir sind in der Etosha-Pfanne und fasziniert von allem, was uns vor die Linse läuft. Es ist die erste Pirschfahrt meines Lebens und ich kann mich nicht sattsehen an all den wunderschönen Giraffen und Elefanten, die uns mit stoischer Ruhe passieren lassen und sich ein ums andere Mal ablichten lassen. Damals musste man sich hinsichtlich Fotos noch regelrecht zusammenreißen, denn mehr als zehn 36er Filme entwickeln zu lassen war finanziell überhaupt nicht drin!
Abends beleuchten sie das Wasserloch im Camp Halali, unserem Domizil für die Nacht, und wir sitzen am Zaun und staunen. Große Herden von Elefanten schreiten gemächlich herbei, beschleunigen auf den letzten Metern, und einer nach dem anderen gibt sich die Ehre, kommt, seinen Durst zu stillen, in dieser unwirtlichen Salzpfanne des Etosha, die trotzdem so vielen Tieren eine Heimat ist.

Irgendwo in der Ferne brüllt ein Löwe.

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