Noch’n Gedicht

Edit Montagabend: ha! Na, da hab’ ich ja was gesagt! No worries, ich bin NICHT zu den Verschwörungstheoretikern übergelaufen. Ich bin einfach nur skeptisch, und das ist ja nun nichts Neues. Seid lieb. 😜

Manchmal scheint es dieser Tage in den Medien und in den sozialen Netzwerken en vogue zu sein, den Tourismus als die Wurzel allen Übels auszumachen. Der Schurke ist gefunden! Wir reisen zu viel. Muss man über’s Wochenende nach New York? – Nein! Das muss man sicherlich nicht.

Das Gute an der aktuellen Situation ist doch die viele Zeit, die uns geschenkt wird. Ich lese so viel wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Ich genieße die Zeit bei den Pferden, zu denen ich (was für ein glücklicher Zufall) Mitte Februar nach gut 20 Jahren zurückgefunden habe. Aber, sind wir ehrlich, gegenüber einer normalen Frequenz im Job bleibt darüber hinaus noch immer ganz viel freie Zeit, die ich – weil mein Mann nun wirklich zu Hause bleiben muss – auf ausgedehnten Spaziergängen oft alleine verbringe. Und so versuche ich seit dem 13.3. meine Gedanken zu sortieren und zu verstehen, was hier eigentlich passiert. Ich verstehe’s aber nicht! Als denkender Mensch kann man da irgendwann nur resignieren und akzeptieren, dass die liebe Sonne es eines Tages an den Tag bringt, was wirklich läuft. Oder auch nicht.
Ich bin über das Verstehenwollen sozusagen jetzt hinaus und in einem Zustand des interessierten Beobachters angelangt. Ich meine, wir haben es doch alle schon seit Ewigkeiten in flotten Sprüchen, auf Partys, herbeigeredet. Und jetzt ist es da, das Killervirus, das die Sache regelt. Huaaaa!
Vor allem er hier hat es doch herrlich beschrieben: „Wir müssen ein Exempel statuieren. Warum sollten wir diese Tiere* einfach so alles zerstören lassen? Drauf geschissen.“ (Sagt kein geringerer als Gott himself, GOTT BEWAHRE, John Niven, 2011).
*hier sind wir Menschen gemeint

Was hat das mit Tourismus zu tun?

Nun, eine ganze, ganze Menge. Seit Jahren streite ich mit etlichen Kollegen in der Branche laut gegen Geiz-ist-geil. Ich habe mich mit TUI-Vorständen angelegt („Tuifly erzielt einen Durchschnittsflugpreis von 180 Euro pro Strecke!“ (Gelächter!) „Aber Frau Brenneke, Herr Beck spricht in Returns!“ – alles klar!) und auf der ITB (in dem Jahr, als sie mit Eurowings für 99 Euro/Langstrecke in die Werbung gegangen sind) mit der Lufthansa. Jeder Zehntklässler mit Zettel und Stift kann in fünf Minuten nachweisen, dass das nicht geht. Ratio? EGAL.

Pervers ist doch dabei, dass die Bilanzen trotzdem immer chic aussahen. Aber wir hatten Streiks ohne Ende und viel zu viele beinahe-Katastrophen im Flugbetrieb. Menschen, die selbst bei VERDI organisiert sind, haben kein Problem mit 20-Euro-Flügen nach Mallorca. Hä? Es sollte doch jedem klar sein, dass von solchen Flugpreisen keine angemessenen Gehälter gezahlt werden können. Spielte alles keine Rolle. Da ist man ethisch flexibel.

Stichwort 737-Max. Keine 10 Minuten nach dem Absturz versicherte mir eine Kennerin der Flugszene, das habe am Flugzeugtyp gelegen. Ich habe das schwarz auf weiß. Die haben das alle gewusst! Druck, Druck, Druck. Ja, diese Branche WAR am Ende, sind wir doch einmal ehrlich! Air Berlin flog zum Teil mit weniger als 50 € Marge bis Windhoek! Herrschaftszeiten, man darf die Stadtmauer zu Dubrovnik in der Saison nur in eine Richtung begehen!(!) In der Maasai Mara sind so viele Camps gebaut, man kann sie beinahe schon sicher zu Fuß durchqueren! Und die Herden der Great Migration kommen aus dem Mara-Fluss nicht raus, nicht etwa, weil die Löwenrudel am anderen Ufer warten, sondern weil die Jeeps zu Hunderten den Ausweg blockieren. Dicht dran, für ein gutes Foto, das der wohlhabende Tourist aus Übersee mit seiner 5000-Euro-Canon, die er nicht einmal gescheit bedienen kann, schießen möchte, um bei Insta Likes zu sammeln… Willkommen in Absurdistan.

Was Air B&B und Co für die Städte bedeutet, das habe ich im ÜSTRA Reisen Adventsgruß 2018 aufzuzeigen versucht. Der Soziologe Andreas Reckwitz hatte es eindrucksvoll auf den Punkt gebracht. Aber auch das interessiert eigentlich keinen.
599 € eine Woche „all in“, mit Flug. Nein, so konnte es nicht weitergehen. Und so geht’s auch nicht weiter. Schaut Euch in England die Seebäder an! Hastings, Eastbourne, sogar Brighton. Alles verfallen und vergammelt, gruselig! Keiner macht dort Ferien, alle fliegen nach Mallorca, das seinerseits aus allen Nähten platzt.
Die ganze Branche wurde nur noch auf der Felge gefahren. Ganz kurz vor dem Corona-Knall hatte ich einen ausgewachsenen Streit mit einem Hotelier an der Amalfiküste. Mein Kunde interessierte sich nur für Sorrent, weil ich es ihm empfohlen hatte, und aus gleichem Grund für dieses spezifische Hotel. Doch die guten Zimmer mit Meerblick in der so-und-so-vielten Etage sollte es nur für Direktbucher geben. Wer braucht schon Reisebüros? fragte mich der Herr durch die Blume. Wir können uns doch prima direkt vermarkten und die Kohle selbst einstecken oder senken den Preis, stehen bei Booking oben…. Welche Arroganz! Viele (nicht alle!) Hoteliers haben sich so verhalten, und das hat einen gewissen Einfluss auf die Menge meines Mitgefühls mit ihnen in der derzeitigen Situation. Respekt ist einfach keine Einbahnstraße.

Sollen wir jetzt alle „mit dem Arsch zu Hause bleiben“? (Hilbring war gut, oder?) Mitnichten.
Weil ich schon lange keinen Spaß an o.g. Spiel mehr hatte, habe ich vor Jahren ABENTEUER TANSANIA gebaut. Und es gibt viele vergleichbare Projekte weltweit wie dieses, die einfach ein bißchen respektvoller sein möchten im Umgang mit der Natur, im Umgang mit den Ressourcen und vor allem im Umgang mit den Menschen vor Ort.

Wer nie den Muezzin in Kairo rufen hörte, der lehnt ihn vielleicht eher auch in Hameln ab. Das Reisen hat mir persönlich so viel gegeben, mich so vieles gelehrt (vor allem, was ich alles nicht brauche) und die Kontakte und Beziehungen zu Menschen verschiedenster Kulturkreise aus aller Welt sind eine so ungeheure Bereicherung für mich, dass ich niemals unterschreiben kann, dass das Reisen die Wurzel allen Übels ist.

Eher schon das, was wir daraus gemacht haben.

 

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