Tag 39, 10. August: Hiva Oa – Atuona

„Du kannst ja um 17 Uhr am Tanzkurs teilnehmen“ sagt Abi, um mich zu ärgern. Da Tanzen zwangsläufig mit Musik verbunden ist, und ich in den letzten Tagen genug Musik für die ganze Reise gehört habe, fällt es schon aus diesem Grund aus. Heute ist ein herrlicher Tag. Die Sonne lacht, aber es ist windig und nicht so heiss und wir genießen einen interessanten Vormittag im Ort Atuona, wo der Maler Paul Gaugin gelebt hat und auch begraben ist. Am Pier geht es schon wieder geschäftig zu, als der Bauch der Aranui tonnenweise Chips und Cola ausspuckt und Gabelstapler wie die Ameisen nur scheinbar ziellos umherdüsen. Das ganze Dorf scheint da zu sein, Landrover und Toyota Pick Ups reihen sich am Straßenrand wie Perlen an der Kette auf. Es ist für die Einwohner dieser kleinen Inseln immer etwas Besonderes, wenn der Dampfer mit der lang ersehnten Ware einläuft. Stellt Euch einfach vor, Amazon, Tchibo, Zalando und wie sie alle heißen lieferten nur noch 20 mal pro Jahr. Genauso wird hier jeder Ankunft entgegengefiebert und wir sind gern gesehene Gäste.
Große LKWs mit aufgenagelten Sitzflächen hinten drauf bringen uns in den Ort, wo nun also der berühmte Paul Gaugin seinen Lebensabend verbracht hat. Wir besuchen das Grab und auf seinem ehemaligen Grundstück sind Kopien etlicher Werke ausgestellt. Ein hier lebender Franzose ist Experte und referiert eine Stunde lang in englischer Sprache über das Leben und Wirken dieses außergewöhnlichen Mannes seiner Zeit. Ich wusste vorher so gut wie nichts über Gaugin, deswegen ist die Story für mich spannend und interessant und ich höre dem Mann mit dem französischen Akzent gerne zu.
Ich muss allerdings nicht jedes Bild ansehen und schlendere lieber durch den Ort, suche eine Bar auf, bekomme einen hervorragenden Espresso und lade im Wifi meine Geschichte des gestrigen Tages hoch. Diese Bar liegt ein bisschen abseits und es sind nicht viele andere Passagiere hier, die sich das ohnehin schon schmächtige Netz teilen müssten. Deswegen kann ich heute sogar ein paar mehr Bilder laden und habe auch an den vorherigen Tagen noch hier und da Ergänzungen vornehmen können.
Zu Mittag sind wir zurück an Bord und schenken uns den zweiten Landgang am Nachmittag. Stattdessen besuche ich erneut Terry Hunts Vortrag, den ich vorgestern schon gesehen habe. Diesmal auf französisch, aber das ist mir egal, ich weiß ja schon worum es geht und bin einfach ganz und gar fasziniert. Ihr müsstet diesen „Statue Walking Song“ hören können! Es ist ja so fantastisch. Dieser Terry hat also herausgefunden, wie die Moai-Statuen auf Rapa Nui, das im 12./13. Jahrhundert von Polynesien aus besiedelt wurde, bewegt wurden, sie sind nämlich „gegangen“. Sie wurden aus den Felsen gemeißelt und aufrecht stehend bewegt, indem am Kopf drei Seile angebracht wurden. Es ist ziemlich komplex und die ganze Story mit allen Hintergründen unbedingt lesenswert. Den Buchtitel hatte ich ja bereits genannt. Jedenfalls hatten die Einwohner der Insel den Wissenschaftlern, die seit Jahrzehnten versucht hatten herauszubekommen, wie diese Moais an Ort und Stelle gelangt waren, immer gesagt „they walked – sie sind gegangen“. Das ist überliefertes Wissen, wurde aber natürlich nie für bare Münze genommen. In langen Versuchsreihen und mit einem Replikanten aus dem 3D Drucker ist es schließlich gelungen, den Moai zum „laufen“ zu bringen. Und die große Überraschung ist, dass die Leute vor Ort sofort anfingen ein Lied zu singen, das rhythmisch exakt zu den Bewegungen des Moais passt. Terry fragte sie sogleich, was das für ein Lied sei. „Jeder Ureinwohner Rapa Nuis kennt den Song, das ist der Moai Walking Song“ lautete die Antwort. Überliefert, über Generationen hinweg.
Terry zeigt eine Handyaufnahme, worauf der von ihm geschaffene Moai auf dem Testgelände in Hawaii zum aufgenommen Lied „läuft“ und dieser Moment ist derart magisch, dass mir die Tränen nur so herunterlaufen. Zum ersten Mal, seit die Holländer 1722 Rapa Nui erreicht und die alte Kultur im Zuge der üblichen Krankheiten etc. fast ganz zerstört haben (von geschätzten 4000 Einwohnern haben am Ende 110 überlebt) läuft wieder ein Moai zum „Moai Walking Song“. Das gibt es leider nirgendwo zu sehen, Terry hat es nicht online gestellt und wird es auch nicht tun. Die Aufnahmen zeigen private Freunde, Einwohner Rapa Nuis, in einem sehr privaten, speziellen Moment. Ich treffe Terry später an der Bar und frage ihn, wo auf YouTube ich denn zumindest das Lied finde. „Findest du nicht, Maren“ sagt er und ich sehe ihn ungläubig an. „Willst Du mir etwa sagen, dass ich das nie wieder hören darf? Das kannst du der Welt nicht dauerhaft vorenthalten, es ist doch so wunderbar!“ sage ich zu ihm. Er freut sich, dass es mir so gut gefällt und gibt zu, dass auch er jedesmal wieder einen Kloß im Hals hat und will darüber nachdenken, ob es nicht doch einen Weg gibt, dieses einzigartige Filmdokument der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ich hätte es leicht mitschneiden können beim zweiten Vortrag heute, aber ich mochte es nicht tun. Es fühlte sich irgendwie nicht richtig an. Aber eins steht dann wohl fest. Wenn ich das nochmal hören will, dann muss ich wohl nach Rapa Nui, auch bekannt als die Osterinsel.

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