Blue Swan 2020

Letzter Abend
“Here’s to you, das ist der BLUE SWAN 2020!” Ich reiche die Gläser aus unserer kleinen Kombüse an Deck. “Das ist Austrinken mit Stil!” Meine Bestandsaufnahme für den Abend ergibt Reste von Aperol und Gin, ziemlich viel Tonic und Fruchtsaft, Prosecco und literweise Milch. Gut, letztere kann ich nicht dazu kippen, aber aus den anderen Zutaten kreiere ich einen Cocktail, den ich nach unserem Boot benenne: Fruchtsaft, 2 cl Gin, ein Schuss Prosecco, ein Schuss Aperol, auffüllen mit Tonic und abrunden mit einem Spritzer frischen Safts einer selbst gepflückten Limette. Schmeckt!

Den ganzen Tag haben sich Schauer und dichte Wolken abgewechselt aber meine treue Wetter-App, die mir schon auf so vielen Gruppenreisen verlässlich gute Dienste geleistet hat, sagt einen sonnigen Abend voraus. Der Rest der Crew ist skeptisch. “Wartet es ab!”, sage ich. „Um 18 Uhr scheint die Sonne!“ In der Hoffnung darauf, dass ich richtig liege, steuern wir eine Bucht mit Aussicht nach Westen an und irgendwann nach 17 Uhr reißt der Himmel tatsächlich auf. Im strahlenden, warmen Sonnenschein tanzen wir ausgelassen an Deck, froh über dieses Geschenk eines unvergesslichen letzten Abends.

“Hab ich doch gesagt!”, klugscheiße ich rum. “Es scheint, als wollte die Sonne dir nicht widersprechen!”, sagt Peter und grinst mich an. Ich grinse zurück: “Genau. Das traut die sich nicht!”

Für eine Woche auf einem Segelboot zu leben, das ist natürlich ein Stückchen Freiheit, aber da ist ein Preisschild dran. Meine Beine sehen aus! Ich habe mich bestimmt fünfmal an derselben Stelle angeditscht. Ein Manöver bei viel Seegang hat mich darüberhinaus mit Schwung auf meine vier Buchstaben fallen lassen. Wenn Laines die Wahrheit sagt, dann ist mein Hintern grün und blau. Selbst überprüfen geht nicht, denn es gibt an Bord keine Spiegel. Mal abgesehen von einem Gesichtsspiegel im winzigen, finsteren WC. Sprich: ich habe eine Woche lang so gut wie nicht in den Spiegel gesehen. Besser so, denn es gibt auch keinen Fön.
Nach so etwa drei Tagen beginnen die ersten Handtücher päkig zu werden. Auch der Boden klebt zunehmend vom Salzwasser. Wir bemühen uns redlich um Ordnung und Sauberkeit, aber für Pingel ist das hier sicher nichts. Was außerdem irgendwie gewöhnungsbedürftig ist, sind die klamme Bettwäsche und die papierdünnen Wände.

Eingehende Nachricht von Linda, Dienstag 00:01 Uhr: „Musik aus, Go West schläft jetzt!“ Ich gucke auf mein Telefon. Lautstärke 1! Pfff. Die Wellen klatschen an die Bordwand und es schaukelt. Wo hab ich bloß die Kopfhörer? Mir ist kalt!

Bevor wir heute Morgen das Schiff verlassen genieße ich die Vorzüge der Zivilisation im Hafen. Eine richtige Dusche, Licht, Spiegel, ein FÖN! „Ich sehe wieder aus wie ein Mensch!“, freue ich mich lauthals und ernte verständnisvolles Kichern anderer Leidensgenossen aus den Duschen.
Aber wisst ihr, was das allerbeste ist? Im Spiegel sehe ich mein tief gebräuntes Gesicht und ich habe Zebrastreifen an den Augen. Lauter weiße Striche! „Du hast eben eine Woche lang nur gelächelt!“, sagt Linda.
– Stimmt.

Impressionen aus Kerkyra/Korfu Stadt

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