Während der Fahrt nach Himeji bietet sich mir aus dem Fenster des Hochgeschwindigkeitszuges Shinkansen das schon gewohnte Bild einer nicht enden wollenden Betonwüste. Telegraphenmasten und Stromleitungen vervollkommnen das Bild. Ich nehme an, dass die häufigen Erdbeben eine Verlegung der Stromversorgung unter die Erde unmöglich machen. Statistisch gesehen müssten wir in unseren zwölf Tagen im Land übrigens ein Erdbeben miterleben!Die Burg Himeji mag dem ein oder anderen bekannt vorkommen, denn hier wurde die Fernsehserie „Shogun“ gedreht. Die Burg, wie sie heute aussieht, stammt aus dem Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert und ist eine der wenigen erhaltenen (allerdings restaurierten) Bauten dieser Art in Japan. Wie fast alle historischen Gebäude ist auch sie aus Holz gefertigt, einem vergänglichen Baustoff, was erklärt, warum nur so wenige alte Bauwerke heute noch stehen.
Ich wundere mich, als ich den Bauzeitraum erfahre. Um diese Zeit wurden in Europa so gut wie keine Burgen mehr errichtet, weil die Kanonen und das Schießpulver strategisch alles verändert hatten. Burgen waren nicht mehr uneinnehmbar! Ich lerne, dass das Schießpulver zwar, wie ich richtig wußte, aus Fernost nach Europa kam, jedoch nicht aus Japan, sondern aus China. Japan seinerseits hatte sich ab dem Jahre 1600 bis ins Jahr 1850 komplett abgeschottet und keinerlei Beziehungen mit anderen Ländern zugelassen. Keinen Handel und auch keine Kriege. Es gab auch keine nennenswerten Kriege innerhalb des Landes, abgesehen von ein paar Scharmützeln zwischen den Fürsten. Die Bevölkerung hatte darunter aber nicht direkt zu leiden, denn die Gefechte wurden ausschließlich unter den Kriegern, den Samurai, ausgetragen. Fand diese Auseinandersetzung auf dem Reisfeld eines Bauern statt, hatte dieser natürlich Pech und musste womöglich Hunger leiden. Aber absichtlich gebrandschatzt, wie wir es aus Europa kennen, wurde nicht.
Die weltliche, also politische und militärische Macht, lag beim Shogun, bis Mitte des 19. Jahrhunderts die Amerikaner unter Commander Perry hier mit ihrer schwarzen Flotte aufgekreuzt sind und sich Japan schließlich dem Handel öffnen und das Shogunat beenden musste.
Mittags suchen wir uns ein kleines Restaurant und können anhand einer Bilderbuch-Speisekarte ein Essen auswählen. Ich komme mir vor wie ein Analphabet und tippe auf etwas ohne Fisch, so viel ist herauszukriegen. Die Stühle sind wie für Zwerge gemacht, aber das ist hier so üblich. Man sitzt niedrig. Besteck gibt es keines, dafür stehen Stäbchen parat. So schwierig wie es aussieht ist es gar nicht damit zu essen, wenn man sich erst einmal daran versucht hat.
Mir fällt wieder auf, wie sauber es in diesem Land ist. Selbst in so einer kleinen Kaschemme wie dieser hier heute Mittag, in einer kleinen Gasse, wird gefegt und gewienert. Hier liegen keine Kippen, keine Plastikflaschen, kein Müll herum. Gar nichts. Trash in, Trash out. Was umso verwunderlicher ist, weil es keine öffentlichen Mülleimer gibt. Seit einem Giftgasanschlag auf die Tokioter U-Bahn vor etlichen Jahren, der von manipulierten Mülleimern ausging, sind sämtliche Mülleimer abmontiert worden, „Nimm Deinen Müll mit nach Hause“ heißt die Devise. Und jeder hält sich auch daran.
Auf der Rückfahrt nach Kyoto sitze ich vorne im Zug und kann in die Kabine des Zugführers schauen. Mit weißen Handschuhen lenkt er den Express durch die Gleise und wir brauchen sicher doppelt so lange wie heute morgen mit dem Shinkansen. Aber die Zeit vergeht wie im Flug beim Plausch mit netten Mitreisenden über Gott und die Welt und bei dieser spannenden Aussicht nach vorne auf die Strecke. Sieht haargenau so aus wie „Berühmte Bahnstrecken dieser Welt“, die mich manchmal mitten in der Nacht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen unterhalten, wenn ich nicht schlafen kann.
Die 91 % Luftfeuchtigkeit machen uns heute zu schaffen, aber es ist ein super Tag! Morgen fahren wir nach Norden und ich hoffe, dass wir jetzt das ländliche Japan zu sehen bekommen.