Mit großen Augen schaut mich der Platzeinweiser an. Eine Reservierung für 29 Gäste? Heute?
Das sind die Momente im Leben eines Reiseleiters, wo man ganz stark sein muss. Um uns herum tobt das Leben. Es ist Samstagabend in Trastevere, dem Kneipenviertel Roms. Musik schallt durch die Gassen, Menschen lachen und nippen an ihren Drinks, alles spielt sich auf der Straße ab an diesem lauen Sommerabend. Es könnte perfekt sein, wäre da nicht dieser Kellner, der mir unmissverständlich zu verstehen gibt, dass hier und heute für uns nicht eingedeckt ist. Aber es gibt erstmal einen Prosecco und wild gestikulierend telefoniert der hilfsbereite Mensch herum und schließlich klärt sich zum Glück alles auf. Kleiner Copy-Paste-Fehler in meinem Voucher, unser tatsächliches Restaurant ist keine fünf Minuten entfernt und alles wird gut. Nach der spaßigen Rein-Tour am gestrigen Abend (= jede zweite Kneipe rechts rein) mit 12 Leuten durch die Bars der näheren Umgebung geht der heutige Tag ganz harmlos los. Keine Katastrophen beim Frühstück, pünktlich an der U-Bahn und sogar der Einlassprozess in die vatikanischen Museen erfolgt problemlos. Mit unserem reservierten Ticket können wir an einer übel langen Schlange vorbei gehen und betreten den Vatikan, natürlich nicht, ohne durchleuchtet zu werden. Bei mir piept’s, interessiert aber weiter keinen.
Und dann bricht unvermittelt das Chaos los. Was für eine ungeheure Menge an Menschen sich hier tummelt! Selbst mit Kopfhörern ist es nicht möglich, beieinander zu bleiben. Ich verliere heute insgesamt vier Gäste, das ist mir in zwanzig Jahren noch nicht passiert. Das Geschiebe durch die Galerien erinnert mich lebhaft an das Affentheater in Turin, als wir vor zwei Jahren das ausgestellte berühmte Grabtuch angesehen haben. Die Sixtinische Kapelle ist, ganz im Gegenteil zum Grabtuch meine ich, aber so unwahrscheinlich großartig und einzigartig vollkommen, dass sich das Anstehen wohl trotzdem lohnt. Doch ist das Gesamtprozedere ein einziger Wahnsinn. Man muss die Besucherzahlen limitieren, so geht das nicht! Die Flure und Gänge sind den Menschenmassen nicht gewachsen. Ich gehe hinten, verliere den Anschluss und mit einem Mal sind alle meine Gäste wie von Erdboden verschluckt. Weg. Später erfahre ich, dass Jeanette mit ihnen eine Abkürzung genommen hat. Ich überhole derweil fluchend wohl 500 andere auf dem langen Weg zur Kapelle. Mein Vatikan-Fon funktioniert nicht, die eigenen Apparate zu verwenden ist aber verboten. Sind die anderen jetzt vor oder hinter mir? Ich gebe auf und lasse mich mitschieben. Mehr kann ich eh nicht tun. Und dann stehe ich endlich mittendrin in diesem Meisterwerk Michelangelos und allem Stress zum Trotz bin ich empfänglich für die vollkommene Schönheit, die mich nun umgibt. Innehalten, durchatmen, staunen.
Als ich Astrid weit vor mir entdecke, beruhigt sich auch mein Puls. Ich habe wieder Anschluss. Leider aber sind jetzt drei Personen verschwunden und tauchen auch vorerst nicht wieder auf. Es bleibt uns schließlich nichts anderes übrig, als unser weiteres Programm durchzuziehen. Meine Handynummer ja ist bekannt. Lasse es doch bitte klingeln, so hoffe ich. Und das tut es auch, als wir die Piazza Navona erreichen. ‚Pronto‘ spreche ich erleichtert ins Telefon, ein dämlicher Fehler. Denn jetzt muss mein Gesprächspartner glauben, ich spräche italienisch und plappert munter drauf los. Leider ist es ’nur‘ unser Busfahrer für heute Abend, der Zeiten mit mir abstimmen will.
Also hier ist was los, kann ich euch sagen. Morgen geht’s nach Ostia Antica. Das ist herrlich weit ab vom Schuss.