Tag 8, 31.1.2021
Ort: Ngorongogokrater – Ndutu
o/n: Rhino Lodge
„Sieht aus wie Antilopen-Pipi“, bemerkt Mirko und zieht ein Gesicht. Auch, wenn ich auf dem Gebiet keine Expertin bin, kann ich nur zustimmen. Es sieht seltsam undurchsichtig-gelblich-braun aus, was da in meiner Tasse ist. Meine afrikanischen Freunde meinen es gut mit mir und haben einheimische Medizin zubereiten lassen. Ich hatte es schon befürchtet: In dieser erbärmlich kalten Nacht in Nainokanoka zu Beginn unserer Wanderung habe ich mich erkältet. Die Halsschmerzen heute Morgen habe ich in Ermangelung probaterer Mittel versucht, mit Whiskey wegzugurgeln (keine gute Idee) und mich dann mit Aspirin Komplex aus Monikas Zaubertasche über den Tag gerettet. „Damit hast du mich in Botswana mal durchgebracht, seitdem fehlt es nie in meiner Reiseapotheke!“ Puh. Glück gehabt, denn selber bin ich dieses Mal irgendwie schlecht ausgestattet. Das kommt davon, wenn man zu viel Zeit zum Packen hat.
Todesmutig setze ich das Gebräu an den Mund und nehme einen Schluck. „Das ist für Drachen!!“ kommentiere ich entrüstet und kann mir nicht vorstellen, die ganze Tasse auszutrinken. Schmeckt, als habe jemand statt Zucker einen Löffel gemahlenen Pfeffer untergerührt. Ist auch genau das Richtige für meine aufgesprungenen Lippen 🤪
Der Tag begann gegen sechs Uhr standesgemäß mit einem Sonnenaufgang über dem Ngorongorokrater. Um das zu erleben, muss man zehn vor sechs in der Rhino Lodge los oder um sechs ab Serena/Pakulala/Simba II. Dann ist man zu jeder Jahreszeit (Äquator!) pünktlich am richtigen Ort für den best möglichen Ausblick, wenn der Himmel sich verfärbt und die Sonne emporsteigt. Das Tor in den Krater an der Seneto-Descent-Road öffnet um 6:30 Uhr. Und so war das heute:

Außer einer sechs-Jeep-Kolonne mit russischen Gästen sind erwartungsgemäß wieder nur wenige Menschen unterwegs. Mit WIFI ON BORD wirbt die Agentur dieser bis auf den letzten Platz vollbesetzten Safari-Fahrzeuge, in denen ich vorwiegend schlafende oder daddelnde Leute erspähe. Netflix im Krater? Andererseits, diese völlig verrückten „Tansania-in-drei-Tagen“-Packages können auch viele deutsche Kollegen gut, da wird den ahnungslosen Gästen mit attraktiven Preisen jeder noch so große Müll angedreht. Hätte ich heute Morgen von Arusha aus anreisen müssen, dann würde ich jetzt vermutlich auch einnicken.
Wir entkommen der Kolonne und erfreuen uns lieber an einer Gruppe spielender Elefanten, einem mächtigen Löwen mit zerzauster Mähne und an einem Spektakel um ein offenbar kurz zuvor an Altersschwäche gestorbenes Gnu, um dessen sterbliche Überreste sich Schakale, Hyänen und Geier zoffen. Wir stehen in der Einflugschneise und einmal mutet es beinahe an, als wollte ein riesiger Ohrengeier im Landeanflug durch die Lücke zwischen hochgestelltem Dach und Fensterladen mitten durch unser Fahrzeug navigieren.
Wenn mir diese pietätlose Bemerkung gestattet ist, so war es beinahe aufmerksam von jenem Gnu, direkt neben der Straße das Zeitliche zu segnen. Denn Szenen dieser Art bekommt man nicht oft zu sehen, erst recht nicht aus so geringer Entfernung. Es ist faszinierend, in welch rasender Geschwindigkeit die Dinge ihren Lauf nehmen, während Mutter Natur Regie führt. Zuerst treffen die Geier ein, nach ihnen die Marabus. Die nächsten am Set sind Schabrackenschakale und natürlich Hyänen. All diese Aasfresser belagern das tote Tier und das große Fressen geht nicht ohne den ein oder anderen handfesten Streit vonstatten, wobei die Schakale wie immer zuerst das Nachsehen haben. Reichlich angesäuert und mit blutroter Schnauze nimmt einer die Beine in die Hand und hält auf uns zu. Die siegreiche Hyäne schaut ihm nach und nimmt sich als nächstes der lästigen Vögel an. „Alle weg da!“ scheint sie zu rufen, aber die Geier interessieren sich nicht weiter für’s Fußvolk und lassen sich nicht vertreiben.
Wir setzen unsere Pirschfahrt zunächst fort, und als wir später wieder vorbeischauen, sind die sterblichen Überreste in mundgerechte Teile zerlegt. Jeder angelt sich jetzt vom Buffet, was er tragen kann: Die Schakale krallen sich die Beine, die Geier zupfen am Gedärm und eine große Hyäne zieht mit dem Torso davon, wobei die abgefressenen Rippen skurril in den Himmel ragen. Eine zweite Hyäne schleppt den Kopf ins schützende Dickicht, und das sieht wirklich unappetitlich aus, wenn ich das mal so sagen darf. Mach Dir keine Sorgen um Dein Dinner, Fisi, ich will nichts abhaben!
Zebras beobachten die Situation aufmerksam aus der Ferne. Ein großer Löwe mit schmutziger Mähne liegt derweil ein paar Hundert Meter entfernt gelangweilt am Straßenrand und scheint keine Notiz vom Geschehen zu nehmen. Für Aas ist er sich anscheinend zu fein. Hier im Krater können die Raubtiere es sich leisten, wählerisch zu sein, denn der Tisch ist rund ums Jahr mit dem Besten vom Besten reich gedeckt. 20.000 Stück Großwild für ein paar Hundert Raubtiere – so lebt es sich hier als Antilope immer gefährlich! Es ist ein täglicher Spießrutenlauf am Boden dieser Caldera, einst geformt aus Feuer und Staub im Great Rift Valley, der Wiege der Menschheit.
Mittags ziehen wir weiter in Richtung Ndutu, wo die riesigen Gnu- und Zebraherden der großen Tierwanderung sich jetzt aufhalten sollen. Schon die Anfahrt ist verheißungsvoll. Je näher wir der Gegend um die Sodaseen kommen, deren Ufer nach der kleinen Regenzeit mit gehaltvollem Gras voller Mineralstoffe bewachsen sind, umso mehr Tierherden treffen wir an. Zum Höhepunkt des Tages werden später zwei Geparde, Mutter mit Kind, die im Gras versteckt auf ein Abendessen lauern. Es ist absolut denkbar, dass sie heute noch jagen, denn ihre Bäuche sind flach und der Wind steht passend zur sich langsam nähernden Gnuherde, in der sich genügend Halbstarke tummeln, die als Beute für die schnellen Jäger infrage kommen. Jetzt brauchen wir Geduld und Sitzfleisch, eine Herausforderung nach nunmehr 11 Stunden auf der Piste bei Hitze und Staub! Ich kann’s nicht ändern – ich muss mal. „Hakuna Shida!“, sagt Karim. <Kein Problem>. Er bringt uns ein paar hundert Meter quer ab zur Szene und als ich gerade aussteigen will bemerke ich trocken: „Also nee, Karim, hier isses auch schlecht!“ Denn nur wenige Meter neben dem Auto liegt eine dritte Katze auf der Lauer. Sie sind derart gut getarnt, man muss wirklich höllisch aufpassen und immer auf der Hut sein.
Wir bewundern die grazilen Tiere noch eine ganze Weile, aber da die potentielle Beute auf ihrer Wanderung eine ungünstige Richtung einschlägt, machen wir uns auf den Weg Richtung Camp: Dusche, Lagerfeuer und ein kühles Bier sind einfach zu verlockend. Mehr Glück beim nächsten Mal!
Wir sitzen im Restaurant-Zelt und sinnieren über Gott und die Welt, über all das Schöne, was wir auf dieser Reise bis jetzt erleben durften. „Der Löwe im Krater sah echt mitgenommen aus!“ meint Stefan und ergänzt mit einem Augenzwinkern: „Na, was soll er auch machen, die Friseure haben ja zu!“ Als Mirko schließlich einräumt, dass er heute mal früh zu Bett gehen und auf Gin verzichten will, meint Karim: „Gut für Dich, sonst Du hast morgen früh Katze!“ Ich muss grinsen. „Kater!“ sage ich „Es heißt Kater, Karim!“.
In kleinen Schlucken leere ich, nicht ohne laut zu protestieren, meinen Becher mit dem hausgemachten Ingwer-Zitronentee und verziehe mich in mein Zelt. Aber, hey: ich kann die ganze Nacht durch die Nase atmen!
Übermorgen: EIN GNUKALB NAMENS HELMUT
„Es ist wieder einmal früher Morgen in Afrika und wir juckeln schon seit einer guten Stunde über die Makao-Plains, eine Grasebene der Region Ndutu im Ngorongoro-Schutzgebiet. Hier haben Wilson und Karim die Herden der großen Tierwanderung aufgetrieben und es sind heute Hunderttausende Tiere, die wir kreuzen, wenn nicht mehr…“