Meine Schwester Ulli wohnt mit ihrem Mann Jürgen und ihren drei Hunden idyllisch im alten Bahnhof von Kirchbrak im Naturpark Solling-Vogler.
Das alte Gemäuer bietet Platz ohne Ende (z.B. für was-weiss-ich-wie-viele halb zusammengebaute Motorräder) und unterm Dach, juchee, hat Ulli die Romantic Suite für Gäste eingerichtet und beklagt sich dauernd, dass sie nie jemand besuchen kommt. Ha! Das ist doch die Gelegenheit! Weder muss ich arbeiten, noch zum Fußball, mein Mann ist auch unterwegs, da hab ich mich glatt eingebucht zu einem Schwesternwochenende. Herrlich! ‚Los, fotografier das. Du bist im Urlaub. Dann musst du’s auch bloggen 😬‘
‚Jetzt setz dich da hin, ich hole Dein Glas‘ lächelt Ulli mich an und fragt ‚Was möchtest Du jetzt denn am liebsten machen?‘ Tja, keine Ahnung. Nicht meine Rolle. Normalerweise frage ich die Gäste, was sie machen möchten. So auf Knopfdruck komme ich aus meinem beruflichen Hamsterrad nicht heraus und beginne mal damit, mein iPhone wegzulegen. Samstag 11 Uhr, das Büro ist geöffnet, alles ok, was soll schon sein.
Wir entscheiden uns für einen langen Spaziergang mit den beiden Hundedamen. Charly, der große, fährt mit Jürgen Motorrad. Ja, echt. Im Beiwagen:
‚Hier bei uns zu Hause ist es so schön‘ schwärmt Ulli ‚wir brauchen gar nicht in den Urlaub zu fahren‘. Und es stimmt. Grüne Wiesen, hier und da ein Weiler, Wald und frische Luft, das ist die heimatliche Idylle. Ein Reh springt vorbei und die Vögel zwitschern. Zum Glück sind diese Hunde perfekt erzogen, gehen bei Fuß, ohne dass ich bei meiner Cora je an der Leine ziehen müsste. So macht das Spaß.
Nach zehn Kilometern bei sommerlichen Temperaturen ist Zeit zum chillen im Garten und die einzige Frage von Bedeutung ist, ob wir die Erdbeerbowle (Sibylle, Dein Rezept!) jetzt gleich oder später trinken…
‚Wie jetzt, du warst noch nie auf dem Köterberg?‘ Nö. Jürgens Haus- und Hofberg, El Dorado für Moped Fahrer im Umkreis vieler Hundert Kilometer, ist mir wohl ein Begriff, aber wer fährt freiwillig mit dem Auto auf einen Berg, der für seine Motorradfahrer-Dichte bekannt ist? Besonders in Gruppen sind Abi und mir Biker eher unangenehme Zeitgenossen, zu viele schwarze Schafe dabei.
Doch heute ist die Gelegenheit günstig.
Wir satteln Ullis alten SLK und der Wind weht mir durchs Haar, während die Landschaft im immer lieblicher werdenden nachmittäglichem Licht an uns vorbei rauscht. Kurve um Kurve geht es nach oben und schließlich erreichen wir den Gipfel und genießen den Rundumblick und das Blumenmeer.
Über die Ottensteiner Hochebene geht’s zurück. Freiheit, yeah.
Was für ein schöner, unbeschwerter Tag. Die Bowle schmeckt göttlich und so auch der Nienburger Spargel.
Jetzt wird es ernst. Der große Spieleabend kann beginnen. Stratego. Seit einem viertel Jahrhundert oder noch länger spielen wir nun Stratego und ich habe das gegen Ulli noch nie gewonnen. Es ist zum Mäuse melken. Auch heute verliere ich sang- und klanglos. ‚Du bist dran‘. ‚Ja toll. Ich kann nicht mehr ziehen. Nur noch Bomben und die Fahne.‘ Und so muss ich mich wieder geschlagen geben. Na warte. Eines Tages bist du fällig, Schwesterherz.
In Backgammon und Schiffe versenken nehme ich für heute meine Rache und wir sehen noch die Madrilenen den Henkelpott gewinnen. Armer Karius, Kopf hoch.
Am nächsten Morgen lacht die Sonne und wir machen einen Ausflug wie in ein anderes Leben, das fünfzehn, zwanzig Jahre zurück liegt. Auf Gestüt Hämelschenburg ist heute Fohlenschau.
Eine Welt, die einmal meine war. Die Namen der Hengste in den Pedigrees sind mir noch vage vertraut. Herrliche Tiere, eins schöner als das andere. Die Fohlen zuckersüß und so zutraulich! Beim Gang durch die Stallungen fällt mein Blick auf den Alten Fritz, das ist ein altgedienter Beschäler auf Hämelschenburg. Ganz grau ist der Rappe im Gesicht und schon weit über zwanzig Jahre alt. Vor meinem geistigen Auge sehe ich den stolzen Hengst übers Dressur-Parkett schweben als wäre es gestern gewesen. Wo ist die Zeit geblieben?
Mit einem Seufzer kehre ich zurück ins Hier und Jetzt und habe meinen Favoriten schnell gefunden: High Motion, du bist ein echter Hingucker.
Und dann ist da diese Stute, ist sie nicht wunderschön?
Irgendwann, das weiß ich sicher, hab‘ ich wieder ein Pferd. Ich vermisse die Ausritte am Sonntagmorgen in aller Frühe, bevor die Welt erwacht. Den Nebel über den Feldern und den Duft von Leder und das zufriedene Schnauben meiner unvergessenen Stute Luna.
Wie sagte einst Gräfin zu Dohna-Schlobitten?
„Eins der wohl schönsten Geschöpfe auf Gottes Erdboden ist ein Trakehner Fuchs. Aber im Herbst, zu den Jagden, muss es schon ein Dunkelbrauner sein, auf dessen Fell sich die Abendsonne widerspiegelt“